Gedankenstrudel

2019 – Die Weichen sind gestellt

Ein Jahresrückblick. Drei Wochen war es her, dass ich Tina gefragt habe, ob sie mich heiraten möchte und zum Jahresbeginn sind wir sind inmitten der Planung für die Hochzeit. Wo und wann wir heiraten würden, hatten wir bereits im Dezember nach diversen Überlegungen entschieden. Wir wollten uns an einem besonderen Ort das Ja-Wort geben, was sich allerdings nicht so einfach darstellte, wie wir dachten. Rügen stand für uns zur Auswahl, bis wir feststellten, dass das Standesamt, das wir gerne gewählt hätten, nur Platz für 15 Personen hatte. Der Blick auf die Ostsee war damit hinfällig. In Köln hatten wir ein altes Theater im Blick, hier wäre allerdings eine freie Trauung notwendig. Die Standesamtsorte in Leichlingen haben uns nicht zugesagt – wir im Schloss oder Sinneswald? Eher nicht. Die Lade.zone in Leichlingen war unsere endgültige Wahl. Eine stylische Fabrikhalle, dessen Besitzer*in Möbel und Einrichtungsgegenstände verkaufen. Vintage und modern zugleich, das integrierte Cafè und der Kamin bringen eine Urgemütlichkeit. Nur die Trauung konnte dort nicht stattfinden – auch hier wäre wieder eine freie notwendig gewesen. Also haben wir uns entschieden – trotz auch hier maximalen Anzahl von 15 Personen – in engen Kreis im Standesamt Leichlingen zu heiraten und direkt im Anschluss in die Ladezone zu gehen um dort die weiteren Gäste zu empfangen.

Nur 12 Wochen später, am 9. März war es soweit. Bis dahin gab es noch viel zu tun. Eine Hochzeitswebseite anstelle von Einladungskarten erstellen, das Catering planen, wen möchten wir überhaupt einladen?, wo bringen wir die Gäste unter?, mieten wir ein Auto und soll dies geschmückt sein?, wer macht uns die Torte?, was ziehen wir an?, unsere Ringe schmieden … und noch vieles mehr. Was wir nicht überlegen mussten, war der Name – es stand für mich außer Frage, dass ich Tinas Namen annehme. Und so ging der Januar dahin.


02 Der Februar war bei mir ein extrem nachdenklicher Monat. Plötzlich fing ich an in allem den Sinn zu suchen, ich habe mein ganzes Leben nochmal durchgespielt und alles Mögliche hinterfragt. Bin ich hier richtig? Bin ich richtig? Ist das, was ich tue, richtig? Wer bin ich überhaupt? Darf ich eigentlich glücklich sein? Auch musste ich mich wieder Ängsten stellen und habe endlich mal anfangen mich mit dem Thema intensiver auseinander zu setzen. Ich wollte nicht mehr jedesmal innerlich sterben, wenn es um was Neues ging – denn gerade die neuen, etwas aufregenden Dinge, sind doch die, die mir so viel Spaß machen, die mich immer wieder ermutigen. Warum rauben sie mir dann so viel Kraft? Warum bin ich innerlich so unsicher und nach außen so souverän? Ich habe also angefangen, mich intensiv mit mir selbst zu beschäftigen. Und ich habe angefangen, zu akzeptieren, dass ich glücklich bin – und auch sein darf. Dass nicht immer irgendwo das nächste Chaos, der nächste Ärger, der nächste Stress sich vor mir ausbreitet. Im Nachhinein glaube ich, dass es die typische Torschlusspanik war, durch mir vieles nochmal bewusst wurde. Ich bin dankbar dafür, denn damit fing 2019 an wegweisend zu werden.


03 Im März haben wir geheiratet und durchgeatmet. Nebenbei haben wir noch Karneval in Köln und Leichlingen mitgenommen. Wir haben angefangen, gemeinsam laufen zu gehen und sind, neben den tausend Dingen die nach einer Namensänderung zu tun sind, etwas zur Ruhe gekommen. Ich war immer mal wieder mit meinem Gravelbike auf Tour und wir konnten unseren Sommerurlaub planen – als Backpacker zu Fuss und mit Zelt, Rügen erkundigen. Außerdem war die Zeit für uns gekommen, unsere Ernährung auf eine rein pflanzliche umzustellen. Bereits seit November 2018 haben wir uns zu Hause ausschließlich vegan ernährt. Da wir uns beim Hochzeitsbuffet aber für die vegetarische Variante entschieden haben, war bis dahin auswärts noch eine Übergangszeit. D.h wir haben außerhalb von zu Hause auch mal Milchprodukte konsumiert. Hätten wir das nicht gemacht, hätte ich wohlmöglich von unserem eigenen Buffet nicht alles essen wollen. So gut kenne ich mich. Und so ernähren wir uns seit März komplett vegan – auch bei allen Dingen, die wir neu kaufen, achten wir inzwischen darauf, dass die Produkte frei von tierischen Komponenten sind. Damit einhergehend ist auch das Thema Nachhaltigkeit und Minimalismus für uns immer wichtiger geworden. Es ist so unglaublich spannend!


04 Im April gab’s bei uns beiden eine Typveränderung. Ich mit Zopf und Undercut und Tina mit neuer Brille und kurzen Haaren. Über Ostern hatten wir zehn Tage frei und geplant, in den Norden zu fahren. Als wir dann an einem Frühlingstag an der Wupper saßen, haben wir entschieden, uns bei der Notpfote nach Damie zu erkundigen, den hatten wir zuvor in einer Anzeige gesehen. Er ist zwei Jahre alt, ein ungarischer Straßenhund und seit vier Monaten in Deutschland. Ein paar Tage später waren wir in der Pflegestelle in Remscheid und für uns war sofort klar, dass der aufgewühlte Flummi zu uns gehört. Innerhalb einer Woche war alles unter Dach und Fach. Karfreitag haben wir Damie adoptiert und unseren Osterurlaub für die Eingewöhnung genutzt.


05 Ab jetzt waren wir also zu dritt und durften uns an den neuen Alltag gewöhnen. Das alleine bleiben klappte von Beginn an super. Tina ist in der Mittagspause zu Hause und durch unsere versetzten Arbeitszeiten war Damie maximal sechs Stunden alleine. Dadurch, dass ich auch von zu Hause arbeiten konnte, war das aber nichtmal jeden Tag notwendig. Eigentlich wollte ich ihn mit ins Büro nehmen. Das war allerdings nicht sinnvoll, denn Damie ist unsicher und sehr ängstlich in unruhigen Umgebungen. Mit ihm durch Köln, wäre eine Toutur für alle gewesen.

Die Natur lieben wir so oder so … und durch Damie haben wir unseren Fokus immer mehr darauf gelegt, um mit ihm fernab von Trubel viel draußen sein zu können. Da wir im Sommer zelten wollten, haben wir eine Testnacht auf dem Balkon verbracht, um zu schauen wie er sich im Zelt verhält. Das war so super, dass wir am nächsten Wochenende, nach einer kleinen Wanderung unser Zelt im Wald aufgebaut haben. Eine herrliche Erfahrung und der Start in unsere Draußenzeit zu dritt.

Parallel haben wir mit dem Einzelunterricht in der Hundeschule angefangen und konnten einiges lernen. Dennoch gab es immer wieder Situationen in denen wir nicht mir den Trainingsmethoden überein konnten. Nach dem vierten Termin haben wir dann entschieden, dass die Trainerin – vermutlich mangels Erfahrung mit Auslandstieren – nicht auf seine Ängste eingehen kann, was uns dazu veranlasst hat, nicht mit ihr weiter zusammen zu arbeiten.


06 Im Juni mussten wir mal raus, einfach mal durchatmen. Die letzten Urlaube waren mehr Anstrengung und gaben uns keine Zeit, Kraft zu tanken. Über Pfingsten haben wir uns ein Auto gemietet und sind an die Nordsee gefahren. Übernachtet haben wir in einer Ferienwohnung, was super für ruhige Abende war. Damie hat vermutlich das erste Mal das Meer gesehen, war super aufgeregt und hatte richtig Spaß im Sand. Und auch für uns war es schön, die Salzluft und das Watt zu spüren. Das Meeresrauschen, die Möwen und der Horizont – das weckt neue Energie. Damies erste nähere Begegnung mit einem anderen Hund im privaten Umfeld war ein bisschen turbulent – nach ein paar Pöbeleien, haben die beiden sich aber gegenseitig in Ruhe gelassen. So konnten wir einen lustigen Sommerabend bei unseren Gastgebern verbringen und Damie hat stundenlang im eingegrenzten Grundstück Vögel am Himmel gejagt – inzwischen wissen wir, dass das kontraproduktiv war, für den Zeitpunkt haben wir ihn aber einfach mal Hund sein lassen.

Auf dem Rückweg nach Hause haben wir kurzerhand beschlossen, dass wir uns, nach etwas über einem Jahr autofrei, wieder ein Auto kaufen. In Punkto Nachhaltigkeit geht das zwar vollends gegen unsere Grundeinstellung – aber wenn wir dadurch die Möglichkeit haben, jederzeit an ruhige Orte zu fahren, dann ist es uns das Wert. Denn Damie ist so wunderbar entspannt bei der Autofahrt, dass es für uns alle ein großer Mehrwert ist.


07 Und so haben wir drei Tage recherchiert und überlegt. Es sollte ein 4-Türer mit Sitzheizung sein, der größentechnisch ausreicht, um im darin schlafen zu können. Naja gut aussehen und bezahlbar sein sollte er auch. Und lieferbar vor unserem Sommerurlaub, der vier Wochen später anfing, sollte er sein. Wer will und glaubt, der kann – unser Dacia Duster II kam eine Woche vor unserem Urlaub.

Ich hatte mir in der Zwischenzeit das Ziel gesetzt, in 2019 einen Halbmarathon zu laufen. Da ich mir dummerweise in der zweiten Trainingswoche das Schlüsselbein gebrochen habe, war der Plan dann ganz schnell dahin. Unseren Urlaubsplan hatten wir, als wir uns für Damie entschieden haben, auch bereits völlig über den Haufen geworfen. Stattdessen haben wir uns treiben lassen – und hatten einen wunderbaren Urlaub. Der gesamte Urlaub ist unter „Hin & weg 2019“ zu sehen.


08 Im August ging der Alltag wieder los. Doch wir waren immer noch total hin und weg von der Zeit, die wir draußen waren. Um noch ein bisschen mehr davon zu haben, haben wir bestimmt noch zwei Wochen auf dem Balkon geschlafen haben. Für Damie war der Urlaub genauso gut, wie für uns. Die beiden Wochen danach haben wir gemerkt, dass er sicherer geworden ist, uns viel mehr vertraut. Die Gassirunden zu Hause waren nicht mit denen vor dem Urlaub vergleichbar. Doch das sollte sich auch schnell wieder ändern – als auch er gemerkt hat, dass der Alltag wieder da ist.

Wir hatten beschlossen künftig mit einer Trainerin zu arbeiten, die fast ausschließlich mit Auslandstieren zusammenarbeitet, die sich entsprechend mit den besonderen Verhaltensweisen, Ängsten und Angstaggressionen auskennt. Denn inzwischen war scheinbar soweit, dass Damie gemerkt hat, dass wir sein Rudel sind und somit fing er immer mehr an, uns zu verteidigen. Das bezieht sich dann auch auf Menschen die auf uns zukommen. Diese Veränderung ist häufig bei Auslandshunden zu sehen. Durch die Trainerin lernen wir sehr viel über die speziellen Eigenschaften. Er ist ein hyperaktiver Schnauzer-Terrier-Mix mit ADHS-Zügen und unsere Aufgabe ist es, ihm Vertrauen und Ruhe zu geben. Also das totale Gegenteil vom Vögel jagen lassen.


09 Der Drang nach Freiheit wurde immer mehr, die Lust auf Alltag und vor allem den Büroalltag, immer weniger. Wir haben unsere Schlafmöglichkeit im Auto optimiert, indem wir uns eine Vorrichtung gebaut haben. Wir sind so viel wie möglich unterwegs gewesen und sei es nur für eine Nacht. Doch das, und auch der permanente Versuch der Motivation hat irgendwie nicht gereicht. Tina kann sich immer noch mehr zusammennehmen, aber wenn ich etwas im Kopf habe, dann muss ich aktiv werden. Ich hatte immer mehr das Gefühl nicht weiter zu kommen und die Unzufriedenheit wurde stärker. Es fing an, dass mir Dinge egal wurden, ich war ziellos und perspektivlos.

In den letzten Jahren, aber ganz besonders in diesem Jahr, habe ich entschieden, nicht mehr etwas nur zu tun, weil eine Person oder die Gesellschaft es verlangt. Das klingt vielleicht banal, ist in der Umsetzung aber nicht so einfach. Und was ich noch gelernt habe: Es geht immer weiter. Also habe ich getan, was ich mir selbst vor vielen Jahren versprochen haben. Ich habe mir versprochen, wenn ich länger als zwei Wochen wirklich keine Lust, keinen Spaß und keine Motivation habe, dann gehe ich.


10 Also habe ich meine Arbeitsstelle gekündigt. Eine durch die mir sehr viel ermöglicht wurde und bei der ich viele Freiheiten hatte. Doch manchmal reicht das alles nicht. Die nächsten sechs Wochen waren innerlich turbulent. Eine für mich große Veränderung stand bevor und bis dahin war noch einiges zu tun. Im Büro und in mir.

Die für mich größte Veränderung war tatsächlich, eine solche Entscheidung ohne Sicherheit zu fällen – und damit musste ich gerade klar kommen. Als sonst berechnender und immer auf Sicherheit bedachter Mensch, war das ein freier Fall – der sein musste. Der Blick auf die direkte Zeit danach, hat bei mir seltsamerweise Entspannung ausgelöst und das wiederum hat mich darin bestätigt, das Richtige getan zu haben.

Wie passend war dazu, dass wir noch ein paar Tage Urlaub hatten. Ursprünglich wollten wir an die niedersächsische Nordsseeküste, sind aber vor dem Dauerregen geflüchtet und kurzentschlossen früh morgens nach Dänemark gefahren. Dort hatten wir ein paar wunderschöne Tage, über die ich in meinem Blogeintrag „Mal kurz nach Dänemark“ geschrieben habe.


11 Ich hatte das Gefühl frei zu sein. Neu denken zu können. Ich habe angefangen zu planen. Privat war für uns klar, dass wir uns in absehbarer Zeit verkleinern werden und für eine Zeit unsere Wohnung gegen einen Van tauschen werden um Deutschland und Europa zu entdecken. Und somit wurde für mich immer klarer, dass ich jetzt bei mir bleiben sollte. Dass ich jetzt die Chance nutzen muss, um mich und uns auf die Zeit vorzubereiten. Dass ich eben nicht wieder in den Alltagskreislauf mit Festanstellung einsteige und mich festige. Stattdessen verzichte ich auf die Sicherheit und erlange dadurch Zeit, Freiheit und die Möglichkeit mich zu entfalten.


12 Und wenn ich Tina nicht an meiner Seite hätte, würde ich das emotional alles gar nicht durchstehen. Es hat sich in diesem Jahr so viel in uns verändert, wir sind uns über so viele Dinge bewusster geworden. Ich weiß immer mehr, was ich nicht brauche – und was mir nicht gut tut.

Als Mensch, der nie aufhören kann zu denken, habe ich immer einen sehr vollen Kopf, doch in diesem Jahr habe ich – wenn auch nur ein bisschen – sortieren können. Und machmal tut es gut, wenn Tina mich unbewusst mit ein paar Worten zurückholt, für ein paar Stunden resettet.

Das kommende Jahr wird extrem spannend, fokussierter. Die Weichen sind gestellt, jetzt werden sie befahren.