Gedankenstrudel

Fleischlos – und wie lang eine Woche sein kann

Ich esse gerne – gutes Essen. Solange ich zurückdenken kann, war das nicht anders. Meine Einstellung dazu, was gutes Essen ist hat sich jedoch stark geändert. Ich bin jetzt 34 Jahre und war bis Sommer 2017 passionierte Fleischesserin. Allerdings immer nur solange ich nicht über darüber nachgedacht habe, dass das Stück Fleisch auf meinem Teller der Teil eines Tieres ist.

Meine Kindheit habe ich auf dem Land verbracht. Ich bin neben und irgendwie auch auf einem Bauernhof aufgewachsen. Nicht meine Eltern sondern die Nachbarn hatten einen Hof. Ich und auch meine Geschwister waren sehr gerne und fast täglich dort, haben regelmäßig die Kühe vom Land mit in den Stall geholt, sie gemolken und gefüttert. Wir haben im Trockenfutter der Kühe und Rinder geduscht, wenn dieser vom Silo in den Futterwagen gefallen ist. Für diejenigen die sich das nicht vorstellen können: Ein Silo ist der Behälter in dem das Trockenfutter gelagert wird. Dieser ist sehr hoch und führt unten wie ein Trichter zusammen. Er steht meist so, dass man die Futterkarre unten durch schieben kann. Wir saßen dann in der Karre und haben uns von oben berieseln lassen bis die Beine nicht mehr zu sehen waren – als Kind einfach großartig.

Als Kind haben wir übrigens immer gesagt, dass schwarz-weiße Kühe Milch geben und die braun-weißen Kakao-Kühe sind. Das ist natürlich Blödsinn und das wussten wir auch, dennoch gibt es viele Kinder die genau das denken. Also vorausgesetzt natürlich, dass sie auch nur ansatzweise wissen, wo Milch herkommt, denn leider gibt es ja auch die Kinder, die nicht wissen, dass die Milch von Kühen kommt. Wenn ich mir dann wieder bewusst mache, dass es Menschen gibt, die noch nie die Möglichkeit hatten eine Kuh zu streicheln oder die nicht wissen was bei Pferden der Unterschied zwischen Hengst und Stute ist, dann bin ich sehr dankbar dafür, auf dem Land und mit Tieren aufgewachsen zu sein.

Do not eat, what you feed

Der Mensch ist ein Säugertier, genau genommen ein höheres Säugetier, zu denen übrigens auch Rinder, Hunde und Katzen gehören.In der Gattung der Säugetiere sind wir also gleichgestellt zu dem, was bei dem Großteil unserer Mitmenschen als Hauptgang serviert wird. Bei mir war das nicht anders, aber rückblickend frage ich mich, warum der Mensch so stringent zwischen „Respekt vor dem Tier, während ich es berühre“ und „Discounter-Hack für 2,50 Euro/Kilo“ differenziert. Natürlich gibt es die ganz Harten, aber den meisten Fleischessenden wird beim Anblick eines Rindes auf der Weide doch nicht das Wasser im Mund zusammen laufen, geschweige denn dass sie sich vorstellen dem Tier ein Stück Fleisch mit Messer und Gabel aus dem Leib zu schneiden um es dann genüsslich zu kauen. Der Gedanke grenzt für mich inzwischen an Kannibalismus.

Bei mir war das ja nicht anders. Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen bin und genau wusste, was mit den Tieren schlussendlich passiert, habe ich das erfolgreich verdrängt. Die Straße in der ich aufgewachsen bin, war eine Sackgasse mit vier Häusern. Nummer zwei waren wir und Nummer vier der Bauernhof. Der Schlachtwagen musste zwangsläufig an uns vorbei und jeden Mal wenn ich ihn gesehen habe, wusste ich, dass auf dem Rückweg Tiere in ihm sind, vielleicht auch Lisa oder Leon. Zum Glück (oder vielleicht auch leider?) habe ich mir als Kind keine Details von dem, was ab dann passiert, ausmalen können. Vielleicht sollte es Kinderbücher geben, in denen die Wahrheit in Zeichnungen gepackt ist, nur um den Kindern sanft bewusst zu machen, was Tatsache ist.


Mir war damals nicht klar, dass fast alle Tiere in der Massentierhaltung landen und als ich so alt war um es hätte begreifen zu können, habe ich es bewusst verdrängt. Ich wollte es nicht wahrhaben, was ich nicht sehe, ist nicht da. Eines der großen Probleme in unserer Gesellschaft, Verdrängung und Schönmalerei. So etwa mit Mitte zwanzig habe ich angefangen nur noch Fleisch vom Fleischer zu kaufen, nicht mehr aus dem Supermarkt oder dem Discounter. Das ist natürlich in den meisten Fällen teurer, aber das war für mich – damals Studentin mit wenig Einkommen – nur logisch. Die bessere Qualität, der Gedanke, das Fleisch würde nicht aus der Massentierhaltung kommen (Hallo Utopie!), waren für mich Indikatoren die mich haben besser fühlen lassen und dafür habe ich gerne bezahlt. Ich habe angefangen weniger Fleisch zu essen und es stattdessen mehr zu genießen. Im Nachhinein denke ich mir, dass es einfach absurd ist, es bewusst mehr genießen zu wollen, ein Tier aufzuspießen. Ich sehe diese Art zu denken nur noch als Rechtfertigung sich selbst gegenüber, dafür, dass es man es dann halt doch tut. Zu dieser Zeit habe ich übrigens wieder ländlich gewohnt und die Ortsdurchfahrt war der Weg von der Autobahn zum Schweineschlachthof – oder auch Fleischkontor, klingt doch marketingtechnisch besser.


Der Wunsch nach einer fleischlosen Ernährung hat sich bei immer häufiger gemeldet. Oft habe ich gesagt, ich wäre sehr gerne Vegetarierin, esse aber viel zu gerne Fleisch – und biss von der Bratwurst ab. Sarkasmus? Nein das war wirklich so. Viele Jahre habe ich gedacht, dass ich nicht ohne Fleisch kochen könne und kochen war für mich nicht mehr ausschließlich dafür da, etwas zu essen auf dem Tisch zu haben. Ich hatte immer mehr Spaß und Freude daran, insbesondere auch frische Lebensmittel zu verwenden, neue Rezepte zu probieren, Fertigmischungen kamen so gut wie gar nicht mehr vor. Aber Fleisch und Aufschnitt.

Aufschnitt ist ja auch so ein Trugschluss. Es gibt Menschen die sagen, sie mögen kein Fleisch, packen sich aber jeden Tag Salami aufs Brot. Wie naiv und dumm der Mensch doch sein kann (davon schließe ich mich nicht grundsätzlich aus). Je weniger die Form eines Tieres im Lebensmittel erkennbar ist, desto mehr verdrängt man, dass es dennoch Tier ist. Stichwort Bärchenwurst. Denken Kinder eigentlich, dass das Wurst aus Bären ist? What else, Fakt ist, dass eine Scheibe Mortadella genauso Tier ist wie das beste Stück Rinderfilet oder die Gelatine in Gummibärchen.

Die eine Woche

Im August 2017 waren wir in Prag und im Erzgebirge. Der Urlaub war durchzogen von deftiger Küche, was sehr lecker war. Wenn wir woanders sind, geht es uns immer auch um die Spezialitäten, die heimische Küche unseres Reiseziels. Unsere Urlaube sind also immer sehr lecker und machmal streikt unser Bauch dann leider auch. Jedenfalls hatte ich kurze Zeit nach dem Urlaub beschlossen, einfach mal eine Woche kein Fleisch zu essen. Gesagt getan. Es gab viel Salat die Woche, zum Glück war es warm zu dieser Zeit.

Der Wunsch nach dieser einen fleischlosen Woche kam übrigens nicht nur vom Willen, kein Tier für mein Essen töten zu wollen, sondern vielmehr daher, dass ich mich darüber geärgert habe, immer noch so unbewusst und viel Fleisch nebenbei zu konsumieren. Damit meine ich insbesondere, dass ich beim Kochen von Gerichten mit Gemüse immer noch Fleisch her musste, weil ich „was Festes“ und Würziges anbei wollte. Ohne dem hatte ich das Gefühl es fehle was.

Mir hat Anfangs die Kreativität gefehlt, somit wurde das „Feste“ durch Käse kompensiert. Weil das schnell öde wurde, bin ich dann aber sehr zügig dazu übergegangen, zu Überlegen, was ich ohne Fleisch kochen könnte. Ich habe mir online vegetarische Rezepte gesucht und war erstaunt über die Vielfalt, als wäre ein ganz neuer Bereich des Internets eröffnet worden. Da Tina sich bereits mal für drei Jahre vegetarisch ernährt hat, wusste sie einiges, was mir den Einstieg erleichtert hat. Insbesondere was die versteckten Inhaltsstoffe wie Gelatine oder Lab betraf. Tina hat in der Zwischenzeit wieder Fleisch gegessen, hat sich aber über meine Entscheidung zu dieser Woche gefreut und mich unterstützt. Sie hat nicht nach dem Warum gefragt, sie hat mir gehörten, mich aufgeklärt und steht einfach voll und ganz hinter meiner Entscheidung.


Die Woche ist längst rum. Kurze Zeit später war ich auf der Hochzeit eines Familienmitglieds. Ich hatte zwar kein Fleisch gegessen, Fisch hingegen stand immer noch zwischendurch auf meinem Speiseplan, ebenso an diesem Tag. Ich hatte im Gespräch mit den engsten der Familie erwähnt, dass ich seit drei Wochen kein Fleisch mehr esse und das auch gerne so beibehalten möchte. Dass ich keine zustimmende Reaktion erhalte, war mir von vornherein klar, da ich zu einer Familie gehöre, die gerne und viel Fleisch zu sich nimmt. Über die Reaktion „Oh mein Gott, wie kannst du nur!“ und einem wirklich entsetztem Blick, war ich dann doch etwas erschrocken. Es muss natürlich jeder für sich wissen und ich habe überhaupt nichts gegen Fleischesser und ich weiß, wie schmackhaft und einzigartig es sein kann – aber „Wie kannst du nur“ Tiere am leben lassen, keine Tiere töten wollen um zu speisen, da kann ich nur mit „Gut. Mit gutem Gewissen.“ beantworten.

Vor Weihnachten kam die Frage, was ich denn stattdessen essen möchte und anstelle von Braten gab es für mich Sojaschnitzel. Darüber habe ich mich gefreut und es zeigt ein bisschen Respekt vor meiner Entscheidung. Probieren wollte natürlich niemand und die Klischees über Tofu und all den fehlenden Nährstoffen und Mangelerscheinungen wurden auch thematisiert. Es nervt zwar manchmal, aber ich finde das nicht schlimm. Schlussendlich ist das einfach ein Mangel in der Aufklärung, weil sich diejenigen Menschen nicht mit dem Thema auseinandersetzen und vor gar nicht mal allzu langer Zeit gehörte ich genauso zu den unaufgeklärten Personen.


Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon drei Monate kein Fleisch mehr konsumiert und ich wollte das auch so beibehalten. Dann kam Silvestern und wie haben mit Freunden privat gefeiert. Es gab Datteln im Speckmantel. Bei uns zu Hause. Und die sind so unfassbar lecker. Ich habe der Versuchung nicht widerstehen können. Eine einzige Dattel und die war wirklich sehr lecker und ich hätte noch viel mehr essen können. Aber es hatte sich was verändert. Meine Gedanken, mein Empfinden. Ich hatte Gewissensbisse und habe ich so unglaublich egoistisch gefühlt. Dieses eine Mal, diese eine Ausnahme. Damit bin ich wie alle anderen. Ja aber … ich esse ja nur selten Fleisch. Und? Macht es das besser? Für diese Dattel im Speckmantel musste genauso ein Tier sterben, wie für das Steak, das im nächsten Haushalt um die Ecke fast täglich verspeist wird.

Diese eine Dattel im Speckmantel war für mich der große Wendepunkt. Ab dem Moment habe ich noch genauer darauf geachtet, was wo enthalten ist. Fleisch war tabu, hinzu kam, dass ich jetzt auch bei Käse genau geschaut habe, ob Lab enthalten ist – du wirst überrascht sein, wie wenige Käsesorte vegetarisch ist. Bei Fisch war ich immer noch egoistisch, aber nicht mehr skrupellos. Es wurde viel weniger. Im Sommer 2018 sind wir dann von der Nordsee ins Rheinand gezogen. Damit war Fisch für mich eh nicht mehr interessant. Wenn man direkt am Wasser lebt, einen Fischer mit eigenem Fischkutter in der Familie hatte und fast nur echt fangfrisch gegessen hat, dann kann man hunderte Kilometer entfernt keinen Fisch mehr essen. So ging es mir jedenfalls. Also Sommer 2018 im Rheinland. Meine Mutter kam zu Besuch und brachte Fisch mit, fangfrisch – wirklich. Wir haben Fisch zum Abendbrot gegessen, seit Monaten das erste mal Tier auf dem Teller. Es war lecker, aber ich hatte wieder diese Gewissensbisse.

Und eins wurde mir klar: Tiere essen hat für mich hier und jetzt ein Ende.

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