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Die Vorzüge der Heimat

Ooh wow. Heute vor einem Jahr haben wir in einer Hauruck-Aktion die „Karla Kiste“ gegen „Kurt mit Gurt“ getauscht. Nie hätten wir gedacht, dass wir jetzt, heute, schon fast sechs Monate sesshaft sind. Und genauso war es vor über drei Jahren. Auch da hätten wir ein halbes Jahr vor unserem Einzug in unser Wohnmobil nicht gedacht, dass wir tatsächlich mal alles verkaufen und Vollzeit im Camper leben.

Eine unvergessliche Zeit. Nach 877 Nächten on the road, 2,5 Jahren auf so kleinem Raum, genießen wir jetzt alle Vorzüge einer Wohnung und eines festen Wohnsitzes umso mehr. Ein paar Einblicke dazu:

So viel Platz

Wir leben auf 74 qm, haben also zehnmal so viel Platz wie zuvor, und möchten keinen einzigen qm missen. Es ist schön, sich ausbreiten zu können. Dinge kaufen zu können, für die vorher kein Platz war. Ein richtiges Büro zu haben, in dem jede von uns einen separaten Arbeitsplatz hat – schließlich arbeiten wir beide Vollzeit im Homeoffice. Es ist toll, wieder eine große Küche zu haben und eine Geschirrspülmaschine. Wir haben separate Räume und eine Badewanne. Und mit das Beste überhaupt: Eine eigene Waschmaschine.

Es ist schön, Dinge liegen lassen zu können, weil sie nicht im Weg liegen. Der Kühlschrank ist so viel größer, wir haben wieder ein Eisfach. Wir können Dinge in getrennten Räumen machen. Das sind alles selbstverständliche Dinge, die uns in den letzten Monaten so viel mehr bewusst geworden sind.

Uns hat auf der Reise nie Platz gefehlt, wir hatten nie das Bedürfnis nach mehr Raum. Sonst hätten wir uns vor einem Jahr nicht auch nochmal verkleinert. Und doch genießen wir jetzt den Luxus von so viel Platz.

Die Verfügbarkeit von Ressourcen

Im Gegensatz zum Vanlife profitieren wir in der Wohnung von gefühlt unbegrenzten Ressourcen. Anfangs war es ein absurdes Gefühl, wenn ich mal ein Vollbad genommen habe. Mit dem Wasser einer Badewanne sind wir zuvor eine gesamte Woche zu zweit hingekommen. Wir bezahlen für Strom, den wir im Camper durch Solar selbst produziert haben. Wir haben eine sehr gut isolierte Wohnung und hatten selbst im Winter die Heizung nur auf kleiner Stufe laufen. Wenn die Nacht kalt ist, dann wachen wir morgens trotzdem im Warmen auf. Das Wasser kommt aus der Leitung, ohne dass wir es nachfüllen, geschweige denn viele Kilometer fahren, müssen. Beim Strom brauchen wir keine Batterie im Blick behalten, nicht mal, wenn der 2.200 Watt Föhn fünf Minuten durchläuft. Und was wir ebenfalls nicht ständig im Blick haben müssen, ist der Internet-Empfang. Totaler Luxus ist übrigens auch, dass wir jederzeit waschen können. Was im Camper jedoch viel schneller ging, war das Kochen. Nach 2,5 Jahren auf Gas und Induktion ist die Umstellung auf ein Ceran Kochfeld so träge, dass ich ernsthaft dachte, unser Herd sei defekt. Dafür haben wir jetzt vier Platten.

Der Faktor Zeit

Etwas alle drei Wochen haben wir uns auf die Suche nach einer Waschmöglichkeit gemacht. D.h. wir haben vorher recherchiert, wo wir waschen können und dann geplant, wann wir da sein können. Das Waschen selbst hat dann meist einen halben Tag Zeit eingenommen – aber auch mal zwei Tage, wenn wir uns die Maschinen auf Stellplätzen mit anderen teilen mussten. Das ist jetzt so viel einfacher.

Beim Vanlife ist Planung und zeitgleich Flexibilität alles. Es kommt eigentlich immer was dazwischen. Alles dauert länger. Wir genießen es, wieder unsere Stamm-Einkaufsmärkte zu haben. Da wir in meine/unsere alte Heimat gezogen sind, kennen wir uns aus. Wir wissen, wo was ist, brauchen keine Routenplanung mehr. Auf Reisen muss man sich jedes Mal neu orientieren, wodurch wir aber auch viel mehr entdecken konnten. Beides hat seine Vorzüge und beides ist toll.

Wir leben jetzt in der Stadt, haben alles fußläufig erreichbar. Ein Auto brauchen wir hier eigentlich nicht. Wir wachen zwar nicht in der Natur auf, haben aber nur 3 Minuten Fußweg bis ans Wasser. Wir wissen, wo wir abends schlafen. Müssen uns keine Stellplätze suchen. Haben aber auch nicht die Möglichkeit, mal eben nach Feierabend für ein paar Stunden nach Venedig zu fahren. Wir haben das große Privileg, immer neue Orte sehen zu können, getauscht – gegen das Privileg, einen festes, örtlich gebundenes, Zuhause zu haben.

In den ersten Wochen habe ich, trotz vieler Arbeitsstunden und viel Zeit, die für die Wohnungseinrichtung draufging, gemerkt, wie viel Zeit 24 Stunden sein können. Ein „Lass uns mal eben …“ war vorher eben nicht „mal eben“. Auch können wir nun Dinge parallel machen, was sonst oft nicht möglich war. Ist eine im Kundencall, kann die andere nicht abwaschen. Ist eine am Arbeiten, kann die andere nicht einkaufen fahren – schließlich würde sich das Büro dann vom Platz weg bewegen. Dadurch, dass Fahrten, Stellplatzsuche, Ver- und Entsorgung und Organisation wegfallen und viele kleine Banalitäten schneller gehen, haben wir sehr viel mehr Zeit.

Eine andere Form der Entfaltung

Ich habe schon in der Jugend davon geträumt, mit dem Bulli durch die Welt zu reisen. Dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, das tun zu können, dafür bin ich sehr dankbar. Wir haben so unfassbar viel erlebt, haben uns persönlich verändert, haben uns gemeinsam verändert. Wir haben 2,5 Jahre 24 Stunden am Tag miteinander verbracht, ohne dass es uns zu viel wurde.

Irgendwann kam bei mir der Punkt, dass ich Sehnsucht bekommen habe. Da wir vor dem Umzug ins Vanlife schon nicht mehr in der Heimat gelebt haben, waren wir inzwischen fünf Jahre fern von Familie und Freunden. Es wurde Zeit, wieder nach Hause zu kommen.

Mit dem Gedanken, wieder nach Bremerhaven zu ziehen, haben wir die Möglichkeiten gesehen, die vor uns liegen: Ich kann regelmäßig Sport machen. Wir haben wieder Routinen. Gerade ich benötige Routinen unbedingt für mein Wohlbefinden. Wir können an regelmäßigen Terminen teilnehmen, Hobbys ausleben, neue Hobbys entwickeln. Wir können spontan Freunde treffen, ich kann meine Patenkinder und meinen Neffen aufwachsen sehen. Wir sind zu Geburtstagen vor Ort, nehmen wieder am Familien- und Freundeleben teil. Und wir können Dinge getrennt machen, wir müssen bei Planungen nicht mehr 24 Stunden am Tag Rücksicht aufeinander nehmen. Wir können uns auch einzeln wieder mehr entfalten. Das fühlt sich übrigens nach so einer langen Zeit sehr ungewohnt an. Und was auch zu erwähnen ist: Da wir alles verkauft und verschenkt hatten, konnten wir uns komplett neu eingerichtet und das hat wirklich Spaß gemacht. Auch was die Einrichtung betrifft, konnten wir uns jetzt nochmal ganz neu ausleben.

Und das Reisen?

Wir wurden schon oft gefragt, ob wir das Reisen vermissen. Am Anfang wurden wir auch oft gefragt, was wir denn mit dem Van machen – den wir ja gerade erst ein halbes Jahr hatten. Manchmal habe ich mich dann gefragt, warum die Frage überhaupt im Raum steht. Denn fast alle, die einen Camper haben, haben zusätzlich ein Haus oder eine Wohnung und mindestens ein Auto.

Wir haben Kurt nicht verkauft und haben das auch nicht vor. Ich komme mit Kurt sehr gut als Alltagsauto zurecht – hier sage ich bewusst „ich“, weil Tina keinen Führerschein hat und ich Kurt alleine fahre. Die Suche nach einem Parkplatz ist mit einem Auto natürlich etwas einfacher, aber wir hatten noch nie Probleme einen Parkplatz zu finden, obwohl wir in der Innenstadt wohnen.

Warum wir ihn nicht verkaufen? Weil wir uns dann ein Auto kaufen müssten und keinen Camper mehr hätten und damit würden wir eine große Freiheit verlieren.

Wir genießen es, jederzeit für ein oder mehrere Nächte wegzufahren. Kurt ist immer startklar, sodass wir unterwegs auch spontan entscheiden können, erst am nächsten Tag nach Hause zu fahren. Wenn ich auf geschäftlichen Terminen bin, schlafe ich in Kurt anstatt ein Hotel zu buchen. Gleiches, wenn wir einen privaten Termin außerhalb haben – wir sind spontan. Können unterwegs sein, müssen aber nicht. Wollen wir am Wochenende wandern gehen? Dann fahren wir in die Berge.

Da wir beide natürlich auch jetzt noch ortsunabhängig arbeiten, können wir auch jederzeit von unterwegs arbeiten. Ob wir das gerade wollen? Nicht wirklich. Wir genießen den vielen Platz im Büro so sehr, dass wir uns mehr auf die Freizeit konzentrieren wollen, wenn wir mal unterwegs sind. Auch können wir uns zum jetzigen Zeitpunkt erstmal nicht vorstellen, für mehr als ein paar Tage unterwegs zu sein. Dafür genießen wir es in unserem neuen Zuhause einfach zu sehr.

Fazit: Nie hätten wir gedacht, dass wir freiwillig im Winter bei -13 Grad zurück nach Deutschland fahren und uns freuen, im grauen Norden zu sein. Die Entscheidung war genau richtig. Wir sind sehr dankbar für die Zeit, die wir hatten und wir die Zeit, die wir jetzt haben.